Von der gestohlenen Freiheit und dubiosen Träumen!

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Stellt Euch irgendeine riesige Metropole in unserer Welt vor. Überall hasten Menschen an Euch im Eiltempo vorbei. Niemand hat Zeit seinem gegenüber in die Augen zu schauen, geschweige den sich zu grüßen oder ein paar Worte zu verlieren. Jeder ist anonym und geht einfach seinen Aufgaben nach. Der Lärm des Verkehrs, der hupenden Autos dröhnt in den Ohren, die stundenlang eingeatmeten Auspuffgase erzeugen langsam ein Übelkeitkeitsgefühl und die verschiedenen Farben der an alle Ecken und Enden platzierten Leuchtschriften und Reklametafeln verfärben die mehrspurigen Durchzugstrassen in ein unendliches Lichtermeer. Überall wo Du Dich hindrehst wird gebaut – riesige Wolkenkratzer, einer höher wie der andere schießen in den Himmel.

Augen zu! Szenenwechsel.

Du findest Dich irgendwo im Hinterland von Bahia, Brasilien, in einem abgelegenen kargen, steinigen Tal wieder. Die Sonne brennt, ein leichter Wind fährt Dir durch die Haare und die Helligkeit sticht Dir in die Augen. Es gibt keine Stromleitungen, kein fließendes Wasser im Haus, kein Telefon. Rundherum siehst Du weidende Rinder. Es gibt hier keine Zäune. Von weiter oben aus der Schule hörst Du fröhliche Kinderstimmen und neben Dir auf den Bäumen das Gezwitscher der Vögel. Rauch steigt aus den Schornsteinen der einfachen Häuser und einige Bauern sind beschäftigt, neben dem kleinen Fluss der quer durch das Tal fließt, ihre Beete und den angepflanzten Mais, Bohnen, Kürbisse und sonstiges zu gießen. Daneben spielen die kleinen von Dona Zildete und planschen jauchzend im Wasser.

Vielleicht geht es Euch gleich wie mir, beide Situationen kenne ich mittlerweile sehr gut. Früher war mir allerdings nicht bewusst, was diese zwei so unterschiedlichen Situationen miteinander zu tun haben könnten. Heute aber kann ich Euch versichern, sie haben sehr viel miteinander zu tun.

Dieses Dorf – „irgendwo im nirgendwo“ -, das gab es bis vor kurzem wirklich. Insgesamt 14 Familien lebten hier in Antas Velha, sehr einfach aber trotzdem fehlte es ihnen laut Dona Zildete an nichts. Dann allerdings wurden sie von Mitarbeitern der BAMIN (=Bahia Mineração) – seit 2010 kontrolliert von der Eurasian Natural Resources Corporation (ENRC) aus Kasachstan die im Jahr 2013 – nach Betrugsvorwürfen, Bestechungs- und Korruptionsskandalen sogar von der Börse in London ausgeschlossen wurde – darüber informiert, das hier Eisenerz gefunden wurde. Von diesem Zeitpunkt an war es aus und vorbei mit der Ruhe. Alles ging sehr schnell! Zuerst der Tage- und Nächte andauernde Lärm der Baumaschinen, die dumpfen Detonation, die mehrmals am Tag die ganze Erde zum zittern brachte, und ihre anschließenden aufsteigenden dunklen Rauchwolken die stundenlang sichtbar waren. Die weltweit ansteigende Nachfrage nach Eisen machte das Leben hier schlichtweg unmöglich.

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Heute leben die Familien nicht mehr in Antas Velha. Sie wurden vom Bergbaukonzern, in das im Nachbarort gelegene Guirapá, im Bezirk Pindaí, umgesiedelt. Hier leben sie auf einem Gebiet das der Konzern für sie gekauft – allerdings ihnen nicht als rechtmäßige Besitzer – überschrieben hat. Die Verantwortlichen der BAMIN geben ihnen vor was und wo sie anpflanzen dürfen und es gibt keinen Platz für ihre Rinder mehr. Um ihre Beete und Felder anzupflanzen sind sie heute abhängig von Wassertankwagen, denn Fluss gibt es hier keinen. Viele der Bauern sind abhängig von der Pension ihrer Eltern, leiden an Depression, und von der versprochenen psychologischen Begleitung der ersten Monate während der Umsiedlung haben sie noch nie etwas gesehen.

Und die kleinen fröhlichen Kinder, die früher ganz unbeschwert im Fluss jauchzend und planschen, die sind gerade unterwegs, an der Hand geführt von ihrer Mutter, Dona Zildete, von der Polizeistation zurück nach Hause. Sie hatten es nämlich, auf einem ihres abenteuerlustigen Rundgangs zwischen den Nachbarhäusern gewagt, angezogen von dem kühlen Nass, in eine offene Regenwasserzisterne zu springen. Darauf hin hat sie der empörte Besitzer zur Polizeistation gebracht. Für das „Verbrechen“ wurde ihre Mutter zwar nicht bestraft, allerdings, gibt es in diesem Fall vielleicht gar keine größere Strafe, als die des Verlustes ihrer Freiheit.

Das einfache Paradies von Dona Zildete wurde einem Traum vom Fortschritt geopfert. Einem Traum dessen Ziel es ist, dass wir Menschen in großen Metropolen in Wolkenkratzern leben und uns zwischen ihnen mit Autos fortbewegen.

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